Scheidung und Barmherzigkeit – Wir reden am Thema vorbei

Als das Studium noch kein Schulbetrieb war, konnten die Studenten wählen, was von einem breiten Angebot am besten zu ihrem Weg passte. An unserer Fakultät der Philosophen stand unter anderem eines Tages ein Seminar über Aristoteles auf dem Plan. Und weil das mit unseren Vorstellungen harmonierte, wählten meine Kameradin und ich das sofort. Bald zeigte sich aber, dass wir nicht genau genug hingeschaut hatten.

Wenn man irgendwo einfach „Kochen“ wählt, sollte man auch vorher sehen, ob Vorspeisen, Hauptgerichte oder gar Desserts gereicht werden.
 Wir hatten eben nicht genau hingeschaut, und so ging es um eine höchst komplizierte, aristotelische Vorspeise: Um das Sprechen. Genauer genommen wurde untersucht, was Sprechen ist, wie Sprechen geht und was das Sprechen tut. 
Wir saßen also da und stellten bald fest, dass im ganzen Seminar niemand genauer hingeschaut hatte als wir. Der Professor sprach und sprach. Vor ihm saß ein mit großen Augen dreinblickender Haufen, in dem jeder merkte, wie kompliziert das Sprechen sein kann, das jeder vom frühesten Kindesalter an ganz selbstverständlich tut.

Es gibt eine Sache, die man uns im Anschluss an das erfolglose Seminar erklärte, und die für unser Thema Scheidung und Barmherzigkeit von überraschender Wichtigkeit ist: Es gibt ein Sprechen, das man irgendwie nur tut und es gibt ein Sprechen, mit dem zudem noch wirklich etwas getan wird.

Der Klassiker für das einfache Sprechen ist das Beschreiben der Welt. Wenn jemand sagt, ein Stuhl sei zerbrechlich, dann beschreibt er ihn und jeder kann das jederzeit am eigenen Leib prüfen. Er braucht sich nur draufsetzen. Sagt jemand, dass eine Kuh krumme Hörner hat, dann beschreibt er ein Tier und informiert den, der es noch nicht weiß. Interessant dabei ist, dass dieses Sprechen immer eine Behauptung und eine Beschreibung der Welt ist.

Genau so selbstverständlich wie wenig beachtet ist, dass es auch ein Sprechen gibt, das nicht nur etwas sagt, sondern auch etwas macht. Wenn jemand mit einem schlichten Wort ein Versprechen gibt, dann hat er nicht nur etwas gesagt, sondern ein Wort gegeben und einen Bund geschlossen. Dieser Bund ist so wirklich, wie er selbst. Das bedeutet, wer das Versprechen gegeben hat, der ist dadurch wirklich gebunden, was sehr konkrete Folgen haben kann.
Wenn ein Delinquent ins Gefängnis fährt, dann tut er das, weil ein Richter zuvor ein schlichtes Wort gesprochen hat. Der Richter sorgt mit einem Spruch dafür, dass er eine Schuld verbüßt, die er sich selbst vielleicht mit nur einem Wort eingebrockt hat.

Beim Thema Scheidung und Barmherzigkeit wird durchgehend übersehen, dass eine Ehe nach katholischem Verständnis nicht das Ergebnis einer Beschreibung, sondern eines höchst gewichtigen Wortes ist, das etwas bewirkt hat. Das Wort, mit dem eine Ehe geschlossen wird, ist ein wirklicher Bund, der wirklich bindet.
Wir wollen solche Worte immer dann nicht wahr haben, wenn wir sie nicht für wahr gehalten haben, als wir sie sprachen. Das ist oft so und eine tief menschliche Angelegenheit; dass wir unter Umständen heute nicht wollen, dass wirklich wahr ist, was wir gestern getan haben.
Ich glaube, darin liegt ein Problem: Die Ehe ist etwas ganz anderes als das, was man glaubt, was sie sei. Die katholische Kirche ist das einzige Institut in der Welt, das den Menschen wirklich noch ganz ernst nimmt. Das ist eine wunderbare Sache. Aber wie jede Sache, die wirklich wunderbar ist, kann auch diese auf ihrer Schattenseite wirklich schwer werden.
Wenn in diesem Zusammenhang Barmherzigkeit gefordert wird, geht es nicht immer ganz redlich zu. Mit Barmherzigkeit wird dann etwas bezeichnet, was mit ihr eigentlich gar nichts zu tun hat.
Barmherzigkeit hat mit wachen und sehenden Augen zu tun. Barmherzig kann eigentlich nur einer sein, der genau sieht, wo er barmherzig zu sein hat. Hier wird aber gefordert, dass der Barmherzige seine Brille von der Nase nimmt, damit er nur noch verschwommen sehen und nicht mehr verstehen kann, worüber er zu sprechen hat. Es wird verlangt, dass der Barmherzige nicht genau hinschaut und übersieht, dass da mal ein wirklicher Bund geschlossen wurde, den er gar nicht gemacht hat und über den er schon deshalb gar nicht richten kann. Wir sollten also sehen, worum es wirklich gehen muss und worum es oft leider nur zu gehen scheint.

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