Überholen ist nicht gleich Überholen. Autos überholen sich gegenseitig, Fußgänger ziehen aneinander vorbei und Rollschuhfahrer übertreffen sich auf den Promenaden. Alle überholen einander, und es geht um Geschwindigkeit.
Ein anderes Überholen meint den übertragenen Sinn. Die Mode von gestern ist überholt. Ein Gesetz, das nicht mehr greift, auch. Wer an Dingen hängt, die als längst überholt sind, der ist von gestern. Hier geht es nicht um Geschwindigkeit, sondern um Heute und Davor.
Manchmal ist es aber einigermaßen dumm, wenn von „heutigentags“ oder „wir leben doch im einundzwanzigsten Jahrhundert“ gesprochen werden soll. Nämlich immer dann, wenn man Sachen für überholt hält, die nicht überholt werden können.
Die Befürworter des Zölibates halten ein Leben im Verzicht auf eine eigene Familie für das, das am meisten zur Besonderheit der Messe passt.
Nun haben wir es in der christlichen Moderne mit einer starken Strömung zu tun bekommen, in der man nicht mehr verstehen kann, dass man um der Messe willen oder überhaupt um der Religion oder um Gottes Willen auf etwas verzichten soll.
Es gibt einen neuen Begriff von der Liebe, der meint, sie könne nur geben und nichts fordern. Eine Liebe, die Forderungen stellt, sei eine Liebe, die nicht lieb ist.
Ein anderer Grund ist, dass die Welt nicht mehr vom Himmel unterschieden werden kann. In der klassischen Vorstellung von Religion steht die Welt dem Himmel schon mal feindlich gegenüber. In der Welt kann es eben passieren, dass der Gerechte am Kreuz landet. Es kann auch passieren, dass der Gerechte seine Leute bittet, ihm auf seinem Weg zu folgen, auch wenn es weh tut.
In dieser Weise, die Liebe und die Welt zu sehen, ist der Zölibat erklärbar und kann verstanden werden. In einer Welt aber, die ganz anders von der Liebe und sich selbst denkt, gehen die Rechnungen nicht mehr auf. So ziemlich alles, was zuvor gesagt wurde, gilt nun als überholt, und die Messe ist überhaupt nichts Besonderes mehr.
Die Geister scheiden sich in der Fragen, ob etwas überholbar ist oder nicht. Wenn der Zölibat einzig an der Messe hängt, was ich glaube und noch erklären möchte, dann kann er nicht überholbar sein, weil man an der Messe auch nicht vorbeiziehen kann. Der Zölibat kann nicht heute überholt sein, wenn er gestern angemessen war. Wenn er heute falsch ist, dann war er es immer, und wenn er heute richtig ist, dann war auch das nie anders. Der Satz: „Wir leben doch im einundzwanzigsten Jahrhundert“, passt hier so wenig, wie ein Zollstock zum Messen der Temperatur.
Wir handeln mit Computerspielen, die einen schneller überholen, als man zur Kasse laufen kann. So lange es aber Menschenkinder gibt, werden sie nichts auf der Welt mehr lieben, als mit einem einfachen, bunten Ball auf den Straßen zu spielen. Es gibt tausend Dinge, die nicht überholbar sind.
In unserer Frage nach der sogenannten Erbschuld heißt es, Gott hat dem Menschen in den Sakramenten eine Hilfe und Heilung an die Hand gegeben, die er unbedingt braucht. Ohne diese Hilfe durch Gottes Hand kann der Mensch ihm nicht unter die Augen treten, sondern versteckt sich vor ihm, wie Adam, hinter der nächsten Hecke. Der Mensch von gestern und von heute braucht die Sakramente, damit ihm geholfen werde, wenn er sich auf den Himmel und überhaupt auf die Begegnung mit Gott vorbereitet. Dem Ganzen liegt nun jener Gedanke zu Grunde, keineswegs überholt ist: Nämlich, dass der Mensch unüberholbar an einer Art vererbten Problematik leidet, die in der Lehre von der Schuld Adams am besten erklärt werden kann.